Donnerstag, 16. April 2009

Wenn Georgien eine Demokratie ist, dann heisse ich Fritzchen...

Doch Frau Merkel mag ja solche Typen, wie den derzeitigen Regenten dieses Landes. Was Wunder? - Bei uns geht mit ihrer Hilfe die Demokratie auch voll den Bach runter. Die Proteste der Bevölkerung dort über Ostern und danach, wie auch Berichte und Schlagzeilen aus Georgien sprechen für sich:


http://www.georgien-nachrichten.de/index.php?rubrik=panorama&cmd=n_einzeln&nach_id=15562


Makaschwili tritt in den Hungerstreik

Der stellvertretende Vorsitzende des Regionalbüros des Oppositionsbündnisses Allianz für Georgien, Tamas Makaschwili, ist in den Hungerstreik getreten. Makaschwili befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Wie das Büro des georgischen Ombudsmannes am Donnerstag mitteilte, habe Makaschwili in den Tagen vor dem orthodoxen Osterfest nach einem geistlichen Beistand verlangt. Dieser sei ihm verwehrt worden. Makaschwili war wegen angeblichen Widerstandes gegen die Staatsgewalt festgenommen worden. Nach Berichten georgischer Medien war er verhaftet worden, weil er im Busbahnhof von Gori nach einem Fahrmöglichkeit zur Demonstration in Tbilisi gefragt hatte.

Quelle: Humanrights.ge - Georgien Nachrichten (16. 04. 2009)


und die Schlagzeilen:


Russischer Staatsbürger in Georgien festgenommen (16.04.)

Mitglied von Neuen Rechte vor Fahrt zu Kirche entführt und geschlagen (15.04.)

Direktor von Coca Cola Georgien auf Rückweg von Demonstration zusammengeschlagen (15.04.)

Mitglieder von Opposition in Georgien brutal von Polizisten zusammengeschlagen (15.04.)

und noch viele weitere


Es ist eine Schande, aber anscheinend das, was seit Neuestem europaweit übliche Gangart bedeutet. Das Volk kann ignoriert werden, wenn man erst mal an der Macht ist, und etwas von irgendwelchen freundlich anmutenden Revolutionen anbringt, die keine sind - oder nicht so gemeint, wie sie nun in Folge gelebt werden sollen.


Reich-Ranicki - was die Beweihräucherung unterschlägt

http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2009-16/artikel-2009-16-literatur-pakt-mit-dem-teufel.html


Literatur

Pakt mit dem Teufel

Wie tief war Reich-Ranicki in die Geheimdienst-Machenschaften der polnischen Kommunisten verstrickt? Ein Biografie und ein Spielfilm geben unterschiedliche Antworten.

Von Gerhard Gnauck

«Sie wollen über Reich-Ranicki schreiben? Der trägt ja inzwischen einen Heiligenschein.» «Reich-Ranicki? Der wird eines Tages direkt in den Himmel auffahren.» Das waren die spontanen Reaktionen zweier deutscher Verleger, denen ich meine Absicht vortrug, ein Buch über den «Literaturpapst» zu schreiben. Kein Zweifel: Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist mehr als nur eine «Ikone des Feuilletons», zu der Bundeskanzlerin Merkel ihn erklärt hat. Die halbwegs säkularisierten Deutschen bringen Reich-Ranicki inzwischen eine fast schon religiöse Verehrung entgegen. Sie treten dem Kritiker weit unkritischer gegenüber als dem «echten» Papst Benedikt XVI.

Diese Verehrung hat einen quasireligiösen Grund. Wer im 20. Jahrhundert Opfer deutschen Wahns wurde und dennoch im Getto Goethe hochgehalten hat, wer nach Auschwitz den kulturellen Aufschwung Deutschlands mitgestaltete, wer immer wieder betont, der Ermordung seiner Familie zum Trotz nie Rachegefühle empfunden zu haben – spricht dieser Mann nicht kraft seiner Autorität der deutschen Nation die Vergebung zu? Es ist für den Seelenhaushalt der Deutschen ungemein wichtig, dass sie diesen Papst in ihrer Mitte haben.

Ich lebe und arbeite in Polen, wo alles begann. Hier wurde Reich-Ranicki geboren, hier hat er insgesamt 29 prägende Jahre seines Lebens verbracht. «Beinahe zwanzig Jahre habe ich hier unendlich viel erlebt und ertragen, gelitten und geliebt», schreibt er über Warschau, wo er die schicksalhafte Zeit von 1938 bis 1958 verbrachte. In Polens Hauptstadt leben heute die meisten Zeitzeugen, die den jungen Reich, den erwachsenen Ranicki und die Anfänge seiner Karriere miterlebt haben. Hier befinden sich wichtige Archive; die einstige Getto-Grenze ist kürzlich von einem Künstler demarkiert worden, und das Häuschen am Stadtrand, in dem Marceli und Teofila Reich nach ihrer Flucht aus dem Getto Unterschlupf fanden, steht noch und ist bewohnt. In den letzten Jahrzehnten hat meines Wissens nur einmal eine deutsche Journalistin das Haus aufgesucht. Was also lag näher, als in Polen nach den Spuren Reich-Ranickis zu forschen?

Als ich an polnische Verleger herantrat, waren die Reaktionen andere als in Deutschland. Ich wandte mich hoffnungsvoll an einen grossen Verlag in Krakau, der sich um die polnisch-jüdische Verständigung verdient gemacht hat. Man antwortete mir negativ: Der Held meines Buches sei keine «sympathische Gestalt», man wolle ihn nicht zusätzlich «popularisieren». Immerhin: Am Ende führte die Suche nach einem Verlag in Polen schneller zum Ziel als in Deutschland. Reich-Ranicki zeigte sich über mein Vorhaben anfangs not amused, versuchte, mich davon abzubringen, liess sich dann jedoch auf eine Zusammenarbeit ein.

Warum über Reich-Ranicki schreiben? Hat er nicht selbst schon alles gesagt? Vor einem halben Jahrhundert hat er sich Günter Grass folgendermassen vorgestellt: «Ich bin ein halber Pole, ein halber Deutscher und ein ganzer Jude.» Doch seitdem hat er den polnischen und damit auch den polnisch-jüdischen Anteil in der öffentlichen Darstellung immer mehr zurückgedrängt. Es war in Deutschland nie populär, aus Polen zu kommen, und es galt auch unter deutschen Juden nicht als fein, ein «Ostjude» zu sein.

Deckname «Platon»

So ist die polnische Seite seines Lebens bis heute die unterbelichtete. Dass die Mitglieder der Familie Reich-Ranicki bis heute überwiegend Polnisch miteinander sprechen, erfahren wir aus seiner Autobiografie nicht. Die polnischen Kollegen, Freunde und Gegner erscheinen uns nur schemenhaft, selbst wenn sie auf Fotos jener Zeit neben ihm stehen. Diese Figuren zum Sprechen zu bringen, das Leben einer Jahrhundertgestalt in seinen Kontext zu setzen und dabei ein Stück europäischer Geschichte zu erzählen: Das war meine Aufgabe.

Reich-Ranicki hat in seinem Leben Schlimmes durchgemacht und bei schlimmen Dingen mitgemacht. 1940 wird Reich Insasse des Warschauer Gettos. Als ein junger Soldat aus Berlin Juden zur Zwangsarbeit treibt, verwickelt ihn Reich in ein Gespräch über Fussball, worauf er vorzeitig vom Arbeitseinsatz entlassen wird. Auch das ein Weg zum Überleben, den er später noch öfter beschreiten sollte: Er sucht und findet den Kontakt zu den jeweils Mächtigen. Reichs Überlebensstrategie war, in der (von den Besatzern eingesetzten) Getto-Verwaltung zu arbeiten, dem Judenrat.

Als zwei Jahre später die Vernichtung beginnt, flieht das Ehepaar Reich Anfang 1943 aus dem Getto und findet Unterschlupf im erwähnten Häuschen der Familie Gawin. Ende 1944 meldet sich Reich bei den neuen polnischen Streitkräften zum Dienst und ist wenig später Mitarbeiter des «Ministeriums für öffentliche Sicherheit», das die ungeteilte Herrschaft der Kommunisten aufrichten soll. Reich und seine Frau werden bei der Postzensur eingesetzt.

Gut ein Jahr später, 1946, schickt das Sicherheitsministerium den jungen Leutnant nach Berlin – zu einer Mission, die Reich-Ranicki später als «Pakt mit dem Teufel» apostrophieren sollte, ohne jedoch darzulegen, worin denn eigentlich die Brisanz dieses Auftrags gelegen habe. Das Sicherheitsministerium, so schreibt er in seiner Autobiografie, habe ihn dann jedoch offenbar «vergessen», ihm jedenfalls «keinerlei Weisungen» geschickt.

Der März 1946 war die Zeit, als die Kommunisten in Osteuropa ihre Machtpositionen erweiterten und Churchill vom «Eisernen Vorhang» sprach. Diese Vorgänge spiegeln sich auch in dem polnischen Büro in Berlin, wo Reich arbeitet. In der polnischen Stasi-Unterlagen-Behörde, die in Warschau eingerichtet wurde, finden sich Spitzelberichte aus dieser Zeit. Sie sind mit dem Decknamen «Platon» gezeichnet und betreffen die engsten Kollegen von Leutnant Reich. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass Reich der Urheber gewesen sein könnte. Mein deutscher Verlag Klett-Cotta und ich baten Reich-Ranicki, als wir ihm im Dezember den Text des Buches zur Einsichtnahme übersandten, zu der in seinem Umfeld praktizierten Bespitzelung (und zum Text insgesamt) Stellung zu nehmen oder Korrekturen anzubringen. Reich-Ranicki erwiderte, er wolle nicht Stellung nehmen.

1948 und 1949 ging Ranicki im Auftrag des Sicherheitsministeriums, in diesem Falle seines Auslandgeheimdienstes, nach London. Eine seiner Aufgaben bestand darin, als Geheimdienstchef für Grossbritannien die Bespitze- lung der polnischen politischen Emigranten zu organisieren. Als das Agentennetz zusammenbricht, wird Ranicki abberufen, aus dem Ministerium und der KP ausgestossen und für zwei Wochen in Arrest gesteckt. Einige Monate vergehen, und Ranicki beginnt in Polen eine neue Laufbahn: als Literaturkritiker.

Verkannter Dissident?

Mit der Bewertung dieses Lebenslaufes tun sich viele in Deutschland schwer. Manche meinen Reich-Ranicki einen Bonus geben zu müssen. Wir Deutschen, heisst es dann, hätten uns einer Bewertung dieser Vorgänge zu enthalten. Sollen wir die Historiker abschaffen? Ist nicht jedes Nachdenken über Geschichte ein Nachdenken über und Bewerten von Ereignissen, die wir selbst nicht erlebt haben? Andere glauben offenbar, die Verfehlungen mancher DDR-Bürger könne man leicht be- und verurteilen, doch weiter im Osten versagten unsere Kategorien.

Die Frankfurter Rundschau schrieb kürzlich über Reich-Ranicki: «Ein junger Intellektueller, äusserst knapp den Nazis entkommen, wird nach seiner Befreiung Kommunist. Ja, zum Teufel, was denn sonst?» Nein, zum Teufel, die Mehrheit der Menschen in Osteuropa hatte 1945 nicht die geringste Lust, sich zum Kommunismus bekehren zu lassen. Und von jenen, die Kommunisten wurden, wollte auch nur eine Minderheit in einem Sicherheitsministerium Karriere machen. Was immer Menschen in schwerer Zeit getan haben: Entscheidend für uns sollte sein, wie sie sich heute dazu stellen. Václav Havel hat in der Diktatur versucht, «in der Wahrheit zu leben». Was auch vor 1989 nicht unmöglich war, sollte heute um vieles leichter sein. Doch von Reich-Ranicki lesen wir in einem seiner jüngsten Werke Verwunderliches, etwa über seine Ablösung vom Geheimdienstposten in London: Er habe 1949 «aus politischen Gründen um seine Abberufung» gebeten, heisst es im «Kanon» der Romane über den Herausgeber. Agentenführer Reich-Ranicki – ein verkannter Dissident?

Die Mehrheit der Deutschen verehrt ihren Reich-Ranicki. Ein Spielfilm auf ARD und Arte, gesendet über die Ostertage, setzte ihm ein Denkmal. Darin sind seine fünf Jahre im Sicherheitsministerium sicherheitshalber ausgeklammert.

Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 16/09

Der Text für die Antirassimus-Konferenz wurde geändert...,

...welcher beanstandet worden war. Trotzdem will die deutsche Regierung, und auch die meisten anderen der EU, nicht teilnehmen. Die Frage sei gestattet, welche Mimositäten und eigene Schuldgefühle dabei wohl eine Rolle spielen, die man nun auf die UN abladen will.

Wenn die Regierenden so sehr gegen Rassismus wären, wie sie gerne vorgeben, müßten sie an der Konferenz teilnehmen, Farbe bekennen, und sich so stark wie nur möglich einbringen, um sich gegen Rassismus einzusetzen. Es wäre doch das Podium dafür, welches denn sonst? Offenbar sind sie aber alle nicht sonderlich erpicht darauf, und verbergen es hinter den Animositäten wegen der Kritik an Israel.

Der deshalb beanstandete Text wurde ausgebessert, was stünde also noch im Wege? Es ist einfach nur Bequemlichkeit und Ausweichen, damit keiner genau Stellung beziehen muss. Wenn wir normalen Bürger uns so verhalten, wird das gerügt. Dann wird angeprangert, wir hätten mal wieder keine Zivilcourage, bekämen den Hintern nicht hoch, würden uns für nichts und niemand mehr einsetzen, hätten keine Solidarität, usw. Bei Regierenden ist das mal wieder etwas ganz anderes...

Es ist also bemerkenswert, wie unsere europäischen Mächtigen kneifen...

Ein supermutiges Interview zum Thema Internetsperren gegen Kinderpornos von einem Betroffenen

http://www.zeit.de/online/2009/17/netzsperren-missbrauch


Internetzensur

Missbrauchsopfer kämpfen gegen Netzsperren

Christian Bahls ist missbraucht worden. Im Interview sagt er: "Ursula von der Leyens Kampagne gegen Kinderpornografie nutzt nichts und macht mich erneut zum Opfer."

ZEIT ONLINE: Sind Sie ein Opfer von Kindesmissbrauch?

Christian Bahls: Ja. Und das war der Grund, Mogis zu gründen, den Verein Missbrauchsopfer gegen Internetsperren. Am 27. März, als die Kinderhilfe so publikumswirksam im Familienministerium aufgetreten ist, ist mir das Essen hochgekommen.

ZEIT ONLINE: Warum?

Bahls: Wegen der Instrumentalisierung dieser lächelnden Kinder und Ursula von der Leyens Aussagen. Nach dem Motto: Mensch, die Kinderhilfe teilt dasselbe Anliegen wie ich, da stelle ich mich doch einmal publikumswirksam neben das Poster. Zu DDR-Zeiten wurde man als Kind auch missbraucht für Propagandazwecke. Daran hat es mich erinnert.

ZEIT ONLINE: Warum sind Sie gegen Frau von der Leyens Plan der Netzsperren?

Bahls: Weil er Kinderpornografie nicht bekämpft. Da ist irgendwo im Internet ein Missbrauch dokumentiert und die Bundesregierung schaut weg. Und sagt uns Bürgern, wir sollen auch wegschauen. Was noch viel krasser ist: Es werden zwischen den Staaten nur die Sperrlisten für die Filter ausgetauscht. Doch niemand bekämpft in seinem eigenen Land die Server, auf denen die Inhalte lagern. Wenn die zu den 1.500 Adressen gehörenden Server in den USA, Holland, Kanada und Deutschland dicht gemacht würden, die derzeit existieren, wären 90 Prozent der weltweit mit einem Browser erreichbaren Kinderpornografie nicht mehr verfügbar.

Auf der norwegischen Sperrliste, die das Bundeskriminalamt unter anderem verwenden will, sind beispielsweise auch 25 deutsche Server verzeichnet, mit 70 genuinen Domain-Namen. Insgesamt gibt es hierzulande sogar über 200 Domain-Namen. Von denen ist ein großer Teil bei einer Firma geparkt, auf deren Seite Domains verkauft werden können. Damit hat diese Firma wahrscheinlich echte Kontaktdaten. Wie sollen sonst die Verkäufe abgewickelt werden? Das Bundeskriminalamt müsste nur zu dieser Firma gehen und die Inhaber der Domains ermitteln.

ZEIT ONLINE: Woher wissen Sie, dass nicht genau das bereits getan wird?

Bahls: Diese Liste ist vom März 2009. Es gibt auch Listen aus dem vergangenen Jahr. Zwar sind eine Menge Domains inzwischen ungültig, aber viele der Domains sind immer wieder dabei und noch aktiv.

ZEIT ONLINE: Meinen Sie, Frau von der Leyen weiß das?

Bahls: Ich habe ihr eine Email geschrieben, dass es laut der norwegischen Liste einen aktiven Server gibt, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 Prozent in Deutschland steht, höchstwahrscheinlich in Kiel. Das BKA behauptet, dass es nicht weiß, wo die Server sind. Möglicherweise benutzen die nur Windows und haben keine Ahnung, wie man solche Sperrlisten sachgerecht auswertet.

ZEIT ONLINE: Aber können die Sperrlisten nicht ein Instrument von mehreren sein im Kampf gegen diese Kriminalität?

Bahls: Wir sind für die effiziente Bekämpfung von Straftaten nach Paragraf 184 b. Dazu gehört aber, dass man die Inhalte aus dem Internet entfernt und die Inhaber der Server bestraft. Und über die Inhaber kommt man vielleicht auch an Leute, die so etwas herstellen und kann so verhindern, dass weitere Kinder missbraucht werden. Der Missbrauch muss unterbunden werden. Das aber geschieht nicht dadurch, dass die Bundesregierung ihren Bürgern Scheuklappen aufsetzt.

ZEIT ONLINE: Frau von der Leyen sagt, das würde den Missbrauch eindämmen...

Bahls: Gut, die Leute können es sich nicht mehr direkt angucken. Aber innerhalb von Sekunden können sie sich einen neuen DNS-Server in ihrem Betriebssystem einrichten und schon können sie es erreichen.

ZEIT ONLINE: Ihre Forderung an Frau von der Leyen?

Bahls: Wir haben ihrem Büro diesen Server in Kiel genannt, auf dem vermutlich 18 kinderpornografische Domains liegen. Wir haben nun darum gebeten, dass diese Domains und der Server so bald wie möglich abgeschaltet werden. Ich habe dem Ministerbüro auch noch einmal am Telefon gesagt, dass ich erwarte, dass dieser Server spätestens Freitagfrüh um 9.30 Uhr nicht mehr erreichbar ist, da ich sonst deutlich meine Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Anliegens von Frau von der Leyen äußern werde.

ZEIT ONLINE: Was war die Reaktion?

Bahls: Daraufhin ist meine Nachricht noch einmal an das Ministerbüro zurückgeleitet worden. Die war bereits auf dem Weg in die Unterabteilung für Kinder- und Jugendhilfe. Das müssen Sie sich vorstellen... Ich habe da eine Straftat zur Kenntnis gebracht und sie waren dabei, das einfach nur an das Referat weiterzuleiten. Dabei behaupten sie immer, sie wollten Kinderpornografie im Internet bekämpfen.

ZEIT ONLINE: Ich bin beeindruckt, wie offen Sie mit ihrer Geschichte umgehen...

Bahls: Das ist Wut. Ich bin durch die aktuelle Diskussion aus meinem Trott gerissen und wieder damit konfrontiert worden. Das ist Ärger und der treibt mich an. Die Diskussion, wie sie gerade läuft, ist nicht hilfreich. Die ist schlimm für die Opfer, ihnen wird damit noch ein zweites Mal wehgetan. Ich fühle mich wieder zum Opfer gemacht. Ich fühle mich in der Debatte für ein politisches Ziel missbraucht.

Denn die Regierung will nur die Verbreitung der "Dokumentation des Missbrauchs" einschränken, nicht den Missbrauch selbst. Sie können natürlich vor das Bild ein Laken hängen, das Bild aber hängt dann noch immer dort. Die Inhalte werden weiter verbreitet. Statt nur Listen auszutauschen, könnte man doch mit vereinten Kräften daran arbeiten, diese Inhalte dauerhaft aus dem Netz zu entfernen. Denn bisher geht es nur um diese Sperrlisten, nicht um Ermittlungsverfahren.

Das BKA ist noch dazu beim Aufhängen dieses Lakens Ankläger, Ermittler und Richter in einer Person. Wo bleibt da die Gewaltenteilung, wenn kein Gericht eingeschaltet wird? Wo bleibt die grundgesetzliche Rechtsweggarantie? Die wird damit ausgehebelt. Es wird eine schleichende Internetzensur aufgebaut, keine Strafverfolgung. Das alles ist nur möglich, weil das Tabu Kinderpornografie instrumentalisiert wird: Das ist so böse, da darf man gar nicht offen drüber diskutieren. Das ist das gleiche Muster wie in den Familien, in deren Umfeld Missbrauch geschieht.

Am Freitag will Familienministerin von der Leyen mit deutschen Telekommunikationsfirmen einen Vertrag unterzeichnen, um ihre geplanten Netzsperren auch ohne den Umweg eines Gesetzes faktisch einzurichten. Der Verein Mogis hat angekündigt, gemeinsam mit anderen vor dem Presse- und Besucherzentrum der Bundesregierung dagegen zu demonstrieren.

Die Fragen stellte Kai Biermann


Dienstag, 14. April 2009

Friedensbewegung, NATO usw.

http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/NATO/strutynski2.html


Obama, die NATO und die Friedensbewegung

Von Peter Strutynski *

Hätte der Gipfel zum 60-jährigen Bestehen der NATO noch unter der Ägide des mittlerweile abgelösten US-Präsidenten Bush stattgefunden, hätte sich die Friedensbewegung um die Mobilisierung zum Protest dagegen wenig Gedanken machen müssen. Bush allein reichte aus, um Massen gegen ihn und seine weltweite Kriegspolitik auf die Straße zu bringen. Mit dem neuen Präsidenten verhält es sich etwas anders: Barack Obama gilt als weltoffener, sozial gesinnter, Bürger- und Menschenrechte respektierender Demokrat, der zu Hause für mehr Demokratie und Partizipation der Bürger/innen, und nach außen für Kooperation, Kommunikation und Multipolarität einsteht. Die hundert Tage, die man einem neu gewählten Staats- und Regierungschef einräumt, in denen er sich politisch bewähren kann, bevor er der Kritik anheim fällt, werden im April noch nicht abgelaufen sein. So wird er wohl auch noch nicht die ganze Kritik, die ganze Wut der Friedensbewegung über die US- und NATO-Politik zu spüren bekommen.

Dies mag die Anti-NATO-Proteste in Strasbourg und Baden-Baden zahlenmäßig schwächen. Die weitgehende Ausblendung des neuen Präsidenten hat freilich auch etwas Gutes: Mehr als bei früheren Protestanlässen spielt nicht mehr die Person, sondern die Politik die herausragende Rolle. Die Friedensbewegung kann sich nicht mehr an einem „lieb gewordenen“ Feindbild abreagieren, sondern muss die NATO als ein relativ anonymes, für viele auch noch abstraktes Militärbündnis in den Mittelpunkt rücken.

Es geht also um die Sache. Und hier beginnt die zweite Schwierigkeit: Die NATO wird von der öffentlichen Meinung hier zu Lande nicht negativ gesehen, sondern wird allgemein als militärischer Garant westlicher Freiheit und Demokratie betrachtet, die gegen einen Feind behauptet wurden, dem beides fehlte. Ein Militärbündnis zudem, das den Gegner, den „unfreien“, „undemokratischen“, diktatorisch geführten Kommunismus „sowjetischer Prägung“ überwand, ohne auch nur einen Schuss abgegeben zu haben. Das Bild der NATO in der Öffentlichkeit wird von den Siegern der (bisherigen) Geschichte bestimmt und fällt entsprechend makellos aus. Ältere Menschen, die in den 40er und 50er Jahren aufgewachsen sind, sind überwiegend von der Verteidigungs- und Schutzfunktion der NATO gegen die Militärmacht des Warschauer Pakts überzeugt. Für viele jüngere Menschen ist die NATO zu weit weg, um sich mit ihr beschäftigen zu müssen. Mit der Bundeswehr – obwohl vom Fleisch und Blut der NATO – verhält es sich anders: Mit ihr sind junge Menschen, Männer zumal, direkt konfrontiert, da man sich spätestens bei der Musterung mit dem Gedanken befassen muss, ob man dieser Organisation zeitweise angehören möchte oder nicht. Diese Auseinandersetzung findet statt, obwohl sich mit der Liberalisierung des Kriegsdienstverweigerungsrechts die Frage, zum „Bund“ zu gehen oder zu verweigern, nicht mehr so existenziell stellt, wie das früher der Fall war. Das Verhältnis junger Menschen zur Bundeswehr ist heute leidenschaftslos und neutral. Selbst wenn man die Bundeswehr ablehnt, so gilt dies nur für einen persönlich. Anderen wird durchaus zugestanden - und politisch nachgesehen -, wenn sie sich für die Bundeswehr entscheiden. Das ist dann eben ihr Job bzw. ihre Privatsache.

Die Alphabetisierung der Bevölkerung in Sachen NATO

Umso dringender ist eine Alphabetisierung der Bevölkerung in Sachen NATO. Dies kann damit beginnen, dass ihre Geschichte von Beginn an kritisch hinterfragt wird. Stand bei der Gründung der NATO 1949 wirklich die Furcht vor einem sowjetischen Angriff auf den Westen im Vordergrund? Bestand zu diesem oder einem späteren Zeitpunkt tatsächlich die Gefahr, dass sich – von Moskau und den mittel-und osteuropäischen Volksdemokratie ausgehend – der Kommunismus in einem weltrevolutionären Prozess weiter ausbreiten würde? Hatten die Sowjetunion und ihre Verbündeten (Westjargon: „Satelliten“) die Ressourcen, eine den USA und den anderen westlichen Staaten ebenbürtige oder gar überlegene Militärmacht entgegenzustellen? – Nichts von alledem! Ein unvoreingenommener Blick auf die Nachkriegsrealität der späten 40er Jahre zeigt, dass die Sowjetunion unter dem Krieg am meisten gelitten hatte. Über 20 Millionen Menschen wurden getötet, darunter ein großer Teil der militärischen und intellektuellen Elite des Landes (einen, wenn auch vergleichsweise kleinen Teil davon hatte Stalin mit seiner paranoiden Säuberungspolitik auf dem Gewissen). Die Industrieproduktion der UdSSR war auf ca. 40 Prozent des Vorkriegsstands gesunken, für die Wiederankurbelung der Schwerindustrie – wichtig für die Rüstungsproduktion – waren die Voraussetzungen denkbar schlecht. Die Demobilisierung der Armeen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sowohl in den USA als auch in der UdSSR durchgeführt. Die USA behielten jedoch den Vorteil einer intakten, von Kriegsschäden weitgehend freien Industrie, die jederzeit wieder in die Rüstungsproduktion einsteigen konnte (wozu der Koreakrieg bald das Startsignal geben sollte). Die Sowjetunion hatte alle Hände voll zu tun, die immensen Kriegsschäden zu beseitigen und die Grundversorgung der verarmten und dezimierten Bevölkerung sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich fast die Frage nach dem weltrevolutionären Impetus des Kreml. Die Politik der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war darauf gerichtet, im Inneren einigermaßen erträgliche Lebensbedingungen herzustellen und im Äußeren eine Stabilisierung der Nachkriegskonstellation (Grenzen und Hemisphären) zu erreichen. Entsprechend „konservativ“, das heißt auf Konservierung des zwischen den Alliierten ausgehandelten Status quo ausgerichtet war auch die Sicherheits- und Militärpolitik der Staatsführung. Solange die USA das Atomwaffenmonopol besaßen – das sie im August 1945 in Hiroshima und Nagasaki der Welt und insbesondere der UdSSR demonstrativ erprobt hatten -, war an militärische Abenteuer der Sowjets ohnehin nicht zu denken, als die Sowjets selbst die Bombe bauen konnten (1949, 1953 die Wasserstoffbombe), verboten sich etwaige Angriffsgelüste allein schon wegen der Gefahr der eigenen atomaren Vernichtung.

An dieser Grundkonstellation konnten weder der NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland 1955 noch die kurz danach erfolgte Gründung des „Warschauer Vertrags“, des östlichen, unter Führung der UdSSR stehenden Militärbündnisses, etwas ändern. Die Zeit der seither bestehenden Ost-West-Blockkonfrontation, die noch bis 1989/91 andauern sollte, war gekennzeichnet einerseits durch ein auf gegenseitige atomare Abschreckung gegründetes Agreement, die Nachkriegsgrenzen – einschließlich der deutsch-deutschen und deutsch-polnischen Grenzen – nicht anzutasten und sich jeder aggressiven Handlung gegen den anderen zu enthalten. Das Wissen um die eigene tödliche Verwundbarkeit im Falle eines Krieges führte auf beiden Seiten über Jahrzehnte zu einer Praxis der „friedlichen Koexistenz“. Dem widersprach andererseits keineswegs die durchaus aggressive Rhetorik, derer sich beide Kontrahenten bedienten. "Unglücklicherweise“, so fand Eric Hobsbawm in seinem Buch „Zeitalter der Extreme“ (1995), „hat gerade die Gewissheit, dass keine der beiden Supermächte auf den roten Knopf drücken möchte, beide Seiten in Versuchung geführt, atomare Drohgebärden im vollen Vertrauen darauf, dass auch die andere Seite keinen Krieg wollte, zu Verhandlungszwecken oder (im Fall der USA) für innenpolitische Zwecke einzusetzen. Dieses Vertrauen sollte sich zwar als gerechtfertigt erweisen, aber auf Kosten der Nerven von ganzen Generationen gehen." (S. 290) Neben der Kuba-Krise, auf dessen Höhepunkt US-Präsident John F. Kennedy mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte, waren entsprechende Drohungen von Seiten der USA schon vor Ende des Korea-Krieges (1953) und von Seiten der UdSSR während der Suez-Krise 1956 ausgestoßen worden.

In Frage gestellt wurde dieses stillschweigende Agreement erst Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre, als die USA und die NATO mit ihrer Raketenrüstung in Europa das Gleichgewicht des Schreckens aus den Angeln heben wollten. Am 12. Dezember 1979 hatte die NATO beschlossen, neuartige Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles in Mitteleuropa aufzustellen, falls die UdSSR ihre in Stellung gebrachten SS 20 nicht zurückzöge. Dieser als „Doppelbeschluss“ kommunizierte Plan zielte in Wahrheit darauf ab, die UdSSR mit einem atomaren Erstschlag „enthaupten“ und deren Zweitschlagskapazität entscheidend reduzieren zu können, sodass für die USA selbst ein Atomkrieg wieder führbar zu sein schien. Da diese Planung indessen Europa der atomaren Vernichtung preisgegeben hätte, entwickelte sich gegen diesen Plan in der alten Bundesrepublik eine der größten und kreativsten Bürgerbewegungen, die es bis dato gegeben hatte. So sehr auch der „NATO-Doppelbeschluss“ in der Bevölkerung auf Ablehnung stieß, die NATO selbst kam relativ ungeschoren aus den Protesten der frühen 80er Jahre davon. Die Forderung nach Auflösung der Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt, damals vor allem von der noch jungen Partei DIE GRÜNEN in die Bewegung getragen, wurde nicht mehrheitsfähig in der Friedensbewegung, geschweige denn in der ganzen Bevölkerung. Zu sehr war die Raketendebatte auf die markante antikommunistische Außenpolitik des damaligen US-Präsidenten Reagan fokussiert gewesen.

Ende der Blockkonfrontation – aber kein Ende der NATO

Spätestens nach dem Ende der Sowjetunion und der Blockkonfrontation wäre auch das Ende der NATO fällig gewesen. Doch statt der erhofften “Friedensdividende“ erfand sich die NATO neu. Unter dem Deckmantel eines „erweiterten Sicherheitsbegriffs“ erklärte sich die NATO für alle nur denkbaren Risiken zuständig: Hunger und Armut in der Dritten Welt, Aids und andere Krankheiten, Klimaveränderungen und Naturkatastrophen, Drogenhandel und grenzüberschreitende Kriminalität, Migration und Flüchtlings“ströme“, schwache oder zerfallende Staaten, Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie die Gefährdung des freien Welthandels oder die Unterbrechung des freien Zugangs zu den Rohstoffen dieser Welt. Die Risiken kamen, so hieß es 1991 in der Erklärung des NATO-Gipfels von Rom, aus „allen Richtungen“, waren „unsichtbar“ und unvorhersehbar. Wie bequem für die Militärs! Bei dieser Art Bedrohungsanalyse bestimmten sie, was zu deren „Abwehr“ nötig war. Indem so gut wie alle Lebensbereiche „versicherheitlicht“ wurden, stiegen auch die Ansprüche der Militärs gegenüber der Politik. Zugleich wurde das Feindbild „Kommunismus“ durch das neue Feindbild „fundamentalistischer Islam“ ersetzt.

Diese Bedrohungsanalyse und die sich daraus ergebende Schlussfolgerung, wonach die NATO prinzipiell für alle Politikbereiche zuständig sein und in aller Welt intervenieren könnte, wurden prägend für alle weiteren Militär- und Sicherheitsdoktrinen des Westens. Zu erinnern ist insbesondere an die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) der Bundesregierung 1992 und 2003, an die simultan erschienenen Weißbücher Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs 1994 sowie an das deutsche Verteidigungs-Weißbuch 2006, an die Nationale Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten 2002 und 2006 und an die Europäische Sicherheitsstrategie (das sog. Solana-Papier) vom Dezember 2003. Und dass all diese programmatischen Dokumente nicht nur papierene Erklärungen oder „graue Theorie“ blieben, zeigte uns schlagartig der völkerrechtswidrige Krieg der NATO gegen das damalige Jugoslawien vor zehn Jahren.

Eine neue Stufe der Entwicklung hin zu einer Interventions- und Kriegsallianz erreichte die NATO nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte rief die NATO den Bündnisfall aus und beteiligte sich an der von US-Präsident George W. Bush begonnenen „Operation Enduring Freedom“. In einer denkwürdigen Entscheidung des Bundestags für die Beteiligung an diesem „Krieg gegen den Terror“ – Kanzler Schröder hatte die Frage mit der Vertrauensfrage verknüpft und damit Abgeordnete aus den eigenen Reihen unter Druck gesetzt, für den Fortbestand der Koalition, damit aber gleichzeitig auch für den Kriegseinsatz zu stimmen – bezeugte Deutschland den USA seine „uneingeschränkte Solidarität“ (Schröder) und operiert seitdem sowohl in Afghanistan als auch am Horn von Afrika. Dieser Kriegseinsatz ist formal zu unterscheiden von der seit Dezember 2001 vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Militärmission ISAF, die seither Jahr für Jahr verlängert und ausgeweitet wurde.

Neben dem „Krieg gegen den Terror“ wurden bereits in den 90 er Jahren neue Legitimationen für Militärinterventionen gesucht – und gefunden. Den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien 1999 habe ich bereits erwähnt. Er war unter dem Vorwand geführt worden, eine „humanitäre Intervention“ in der serbischen Provinz Kosovo zu verhindern – mit dem Ergebnis, dass diese Katastrophe erst mit den Luftangriffen eintrat: Bis zu einer Millionen Kosovo-Albaner flüchteten vor den NATO-Bomben und den serbischen Streitkräften in das benachbarte Makedonien. Völkerrechtswidrig war schließlich auch die im Februar 2008 erfolgte einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, die gleichwohl von vielen westlichen Staaten diplomatisch anerkannt wurde – gegen den erklärten Willen Serbiens. Begriffe wie „humanitäre Intervention“, „Krieg um Menschenrechte“, „Regimewechsel“ oder „umgestaltende Diplomatie“ („transformationale diplomacy“, eine Kreation der früheren US-Außenministerin Condoleezza Rice) machen seit einigen Jahren die Runde nicht nur in den USA und in NATO-Kreisen, sondern auch bei den Vereinten Nationen. Ein umfassendes Konzept für all diese Arten von Intervention stellt das Papier einer hochrangigen Arbeitsgruppe ICISS („International Commission on Intervention and State Sovereignty“) dar, das 2001 veröffentlicht wurde. Es trägt den Titel „Responsibility to Protect“ (Verantwortung zu schützen) und behauptet das Recht der Vereinten Nationen, anderer internationaler Bündnisse oder einzelner Staaten, in Staaten militärisch zu intervenieren, die zu schwach oder deren Regierungen nicht gewillt sind, einen ausreichenden Menschenrechtsschutz für ihr Staatsvolk zu gewährleisten. Diesem Ansinnen müsse auch das geltende Völkerrecht „angepasst“ werden. In Wahrheit jedoch würden dadurch zentrale Prinzipien des Völkerrechts und der UN-Charta außer Kraft gesetzt. Zu nennen sind hier etwa die in Art. 2 der UN-Charta enthaltenen Grundsätze des strikten Gewaltverbots, der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten sowie das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten. Die Anwendung der „Schutzverantwortung“ in der Praxis bedeutet, dass ausgerechnet die Verursacher von Hunger und Massenelend in der Dritten Welt, von Korruption, Kriminalität, Menschenhandel und Staatszerfall sich – wenn es ihnen in den Kram passt – zu „Beschützern“ der „Verdammten dieser Erde“ aufschwingen wollen und sich militärisch für sie in die Bresche werfen. Mit anderen Worten: Der Brandstifter ist gleichzeitig die Feuerwehr und die „löscht“, indem sie Öl ins Feuer gießt.

Die NATO, das „Sicherheitsdilemma“ und mögliche Gegenkräfte

Der Anspruch der NATO, mit oder ohne Mandat der Vereinten Nationen weltweit für Frieden und Sicherheit, für Demokratie und Menschenrechte sorgen zu wollen, ruft zwangsläufig Gegenkräfte auf den Plan, die nicht Mitglied der NATO sind und sich auch von den Vereinten Nationen nicht in ausreichendem Maß vertreten fühlen. Das bekannte „Sicherheitsdilemma“ beginnt hier zu wirken. Warum? Ein Militärpakt geht immer von aktuellen oder potenziellen Gegnern aus, ist also ausschließend (exklusiv) und nimmt in Kauf, dass die Ausgeschlossenen sich ebenfalls zusammenschließen. Beide – oder noch mehr - Seiten geraten also in das „Sicherheitsdilemma“, wonach die militärische Organisation des eigenen Schutzes zum Bedrohungsempfinden der anderen Seite beiträgt, die nun ihrerseits sich militärisch zu schützen versucht. So werden dann jegliche Rüstungsanstrengungen als Verteidigungs- oder „Nachrüstungs“-Maßnahmen dargestellt – und zwar auf beiden Seiten. So betrachtet, widersprach die NATO von Anfang an den Grundsätzen des modernen Völkerrechts.

Im Augenblick gibt es zwei nennenswerte Organisationen, die sich von der NATO herausgefordert fühlen: die OVKS und die SOZ. Die OVKS (Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit) ist 1992 von einer Reihe von Staaten, die vormals der Sowjetunion angehörten, gegründet worden. Ihr gehören neben Russland und Weißrussland die Kaukasus-Republik Armenien sowie die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan (seit 2006) an. Es ist ein reines Verteidigungsbündnis, das die nach der Auflösung der Sowjetunion entstandene Sicherheitslücke schließen wollte. Es hat während der ganzen Zeit keine sicherheitspolitische Rolle gespielt. Im Oktober 2008 machte das Bündnis von sich reden, als es beschloss, eine gemeinsame Eingreiftruppe ins Leben zu rufen. Ziel der Truppe sei es, im Fall eines Militärkonflikts „jede Aggression gegen das Bündnis abzuwehren. Die weiteren Aufgaben bestehen darin, gegen den internationalen Terrorismus, den Drogenhandel und die grenzüberschreitende Kriminalität vorzugehen sowie (Natur-)Katastrophen zu bekämpfen.

Die SOZ (Schanghai Organisation für Zusammenarbeit; Shanghai Cooperation Organization-SCO) wurde erst 2001 gegründet, erfreut sich aber weitaus größerer Aufmerksam als die fast zehn Jahre ältere OVKS. Dazu trägt sicher der Umstand bei, dass mit China der wohl bedeutendste aufstrebende Global Player Mitglied der Organisation ist. Ansonsten gehören ihr - mit Ausnahme von Armenien und Weißrussland - alle OVKS-Staaten an. Indien, Iran, Mongolei und Pakistan haben Beobachterstatus. Obwohl die Schanghai Organisation immer wieder betont, sich nicht als Gegengewicht zur NATO zu verstehen und ihre Hauptaufgaben mehr in der wirtschaftlichen Kooperation verortet, sind ihre einzigen wirklich sichtbaren „Erfolge“ militärischer Art, so etwa ein groß angelegtes gemeinsames Manöver im August 2007, das den „antiterroristischen Kampf“ übte. Die weiteren Ziele ähneln sehr stark denen der OVKS: Die SOZ-Staaten haben sich verpflichtet, in der Region gemeinsam den Drogen und Waffenhandel sowie den politischen Extremismus und Separatismus zu bekämpfen. Ungelöste Konflikte untereinander (z.B. Streitigkeiten bei grenzüberschreitenden Rohstoffvorkommen und Wasserreserven) sollen friedlich beigelegt werden.

Die pure Existenz eines Militärbündnisses ruft unliebsame Entwicklungen, internationale Spannungen und eine Dynamik der Aufrüstung hervor. Die logische Folgerung daraus ist daher die ersatzlose Abschaffung der NATO. Damit widerspreche ich auch einer in der Friedensbewegung und anderen sozialen Bewegungen häufig anzutreffenden Auffassung, man dürfe nicht nur in Kategorien der Abwehr und der Ablehnung, also negativ denken, sondern man müsse der Negation immer auch eine konstruktive Alternative entgegenstellen, also etwas Positives entwerfen. Natürlich mag es z.B. richtig sein, dem Kriegskurs der NATO in Afghanistan nicht nur den sofortigen Abzug aus dem Land entgegenzusetzen, sondern auch begleitende Maßnahmen zu formulieren, die dem Land und seinen Bewohnern zu einem menschenwürdigen Leben verhelfen sollen. Im Blick auf die NATO fehlt mir aber das Verständnis dafür, krampfhaft nach Alternativen zur NATO zu suchen. Wir brauchen keine andere NATO, keine gezähmte NATO, keine grüne NATO und auch keine NATO, die hier ein wenig abrüstet und dort mal auf einen Krieg verzichtet. Wir brauchen vielmehr gar keine NATO. Wenn ich eine unangenehme Krankheit habe, suche ich auch nicht nach einer – vielleicht weniger schlimmen – Ersatzkrankheit, sondern ich möchte sie ganz loswerden.

James Jones – das strategische Gehirn der Obama-Administration

Ich möchte nun auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen, was sich denn in Bezug auf die NATO und die generelle außenpolitische Orientierung der USA unter dem neuen US-Präsidenten Obama verändern werde. Generell kann wohl gesagt werden, dass von allen Politikbereichen der Vereinigten Staaten die Außen- und Sicherheitspolitik die größte Kontinuität aufweist. Dies wurde schon sichtbar bei der Nominierung der Hillary Clinton zur Außenministerin und von Robert Gates für das Verteidigungsressort, das er schon unter George W. Bush leitete. Hinzu kommen inhaltliche Kontinuitätslinien. Insbesondere das Energiethema ist zum Top-Thema der USA und der NATO in den letzten Jahren geworden. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten vom September 2002 war die Richtung angegeben worden: Es geht um die „Erschließung neuer Quellen und Arten globaler Energie“, insbesondere in der westlichen Welt, Afrika, Zentralasien und der Kaspischen Region, heißt es dort. Und die Münchner Sicherheitskonferenz 2006 beschäftigte sich vorwiegend mit dieser Frage.

Diese neue Orientierung verkörpert wie kaum ein anderer der neue Nationale Sicherheitsberater der Obama-Administration, James Jones. US-General Jones war von 2003 bis 2006 Oberkommandierender der NATO in Europa (SACEUR) und war in dieser Zeit vor allem auf zwei Ebenen wirksam: Einmal sorgte er sich um die „Transformation“ der NATO aus einem Verteidigungsbündnis (nach Art. 5 des Washingtoner Vertrags) in ein Interventionsbündnis. Unter seiner Ägide wurde insbesondere das NATO-Eingreiftruppen-Konzept entwickelt. Zum anderen beförderte er die Neuausrichtung der NATO auf die (weltweite) Sicherung von Energieressourcen. So sah er es als seine Aufgabe an, die Erkenntnisse aus dem sog. Cheney-Report vom Mai 2001 („Reliable, Affordable, and Environmentally Sound. Energy for America’s Future”) in militärische Planung umzusetzen. Das hieß insbesondere die USA und die NATO in die Lage zu versetzen, politische Kontrolle über die aus deren Sicht drei wichtigsten Energie-Regionen zu gewinnen: den Persischen Golf, das Gebiet zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer und den westafrikanischen Golf von Guinea. Jones gilt denn auch als Architekt von AFRICOM, dem neuen US-Kommando für Afrika, das 2007 beschlossen wurde und im Oktober 2008 in Stuttgart offiziell seine operative Arbeit aufnahm.

Von US-amerikanischen Kommentatoren und Leitartiklern wird der neue Sicherheitsberater Obamas schon heute in einem Atemzug genannt mit solchen Größen wie Henry Kissinger (der diesen Posten unter Präsident Richard Nixon innehatte) und Zbigniew Brzezinski (Sicherheitsberater unter Jimmy Carter). Damit soll auch zum Ausdruck gebracht werden, dass Jones zugetraut wird, zum mächtigsten und einflussreichsten Mann der Obama-Administration aufzusteigen – mit einer Agenda, die er bereits als NATO-Kommandeur erfolgreich durch deklinierte. So hatte sich etwa der NATO-Gipfel in Riga im November 2006 in Bezug auf die „Energiesicherheit“ einen Arbeitsauftrag erteilt, „die Bereiche zu definieren, in denen die NATO zur Gewährleistung der Sicherheitsinteressen ihrer Mitglieder einen Mehrwert einbringen und auf entsprechendes Ersuchen nationale und internationale Anstrengungen unterstützen kann.“ Hinzu kommt, dass fast alle laufenden NATO-Missionen einen mehr oder weniger direkten Bezug zur Energiesicherheit haben: die beiden NATO-Assistance-Missionen in Sudan und im Irak, ISAF in Afghanistan, die Operation Active Endeavour im Mittelmeer, die Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika und die Kosovo-Force (KFOR) im Kosovo.

Mit der Berufung von Jones zum Obersten Sicherheitsberater unterstreicht Barack Obama den Anspruch der USA auf die Führungsrolle in der Welt. Davon hat er bereits unmittelbar nach seinem Wahlsieg am 4. November 2008 gesprochen, als er den bevorstehenden „Beginn einer neuen amerikanischen Führungsrolle“ beschwor. Anders als Bush ist Obama aber davon überzeugt, dass eine solche Weltführerschaft nicht im Alleingang zu erhalten sein wird. Er braucht hierzu die NATO. Die Friedensbewegung braucht weder das eine noch das andere.

* Diesem Text lagen Referate bei der NATO-Konferenz des Europäischen Friedensforums am 14. März 2009 in Berlin und beim NATO-Gegengipfel am 3./5. April in Strasbourg zugrunde.
Eine leicht gekürzte Fassung wurde unter dem Titel "Wir brauchen keine NATO" in der "jungen Welt" vom 11. April 2009 veröffentlicht

Saakaschvili fantasiert sich etwas zurecht...

http://www.spiegelfechter.com/wordpress/514/herbsttage-eines-prasidenten


Herbsttage eines Präsidenten

14. April 2009 von Spiegelfechter - Drucken

Weitgehend unbemerkt von den westlichen Medien demonstriert die Opposition in Georgien seit fünf Tagen für den sofortigen Rücktritt des ungeliebten Präsidenten Saakaschwili. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichten die Demonstrationen in Tiflis am Samstag, als rund 100.000 Demonstranten an einer zentralen Kundgebung teilnahmen – umgerechnet auf deutsche Maßstäbe, hätten rund 1,8 Millionen Menschen in Berlin demonstrieren müssen. Samstagnacht schlug der Staat mit gewohnter Brutalität zu. Schläger, die dem Innenministerium und den Polizeibehörden der Hauptstadt zugerechnet werden, zerstörten in einem Kommandounternehmen die elektronische Ausrüstung auf der Kundgebungstribüne. Die Oppositionellen lassen sich dadurch aber nicht abschrecken. Notfalls wollen sie solange ausharren, bis Saakaschwili seinen Amtssitz räumt.

Was hat Saakaschwili geritten, als er im August letzten Jahres den großen Nachbarn Russland zum Krieg provozierte? Diese Frage beschäftigt bis heute die Welt – und vor allem interessiert dies die Georgier. Sein Plan, die separatistische Teilrepublik Südossetien im Handstreich zu überrennen und die russischen Verstärkungen am Roki-Tunnel so lange aufzuhalten, bis der Westen am grünen Tisch einen Waffenstillstand erreicht, musste misslingen. Kann man einem solchen Hasardeur die Führung eines Landes anvertrauen? Die Mehrheit der Georgier ist sich darin einig, dass nicht.

Der verlorene Krieg ist dabei eher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. 250.000 Menschen verloren nach Regierungsangaben durch die marktliberalen Reformen bereits ihren Arbeitsplatz und die Politik Saakaschwilis verstärkt die sozialen Folgen der wirtschaftlichen Dauerkrise in Georgien abermals. Viele Georgier sehen in einer Verbesserung der Handelsbeziehungen zu Russland den Ausweg aus der Krise – aber dies wird unter einem Präsidenten Saakaschwili nicht möglich sein. Auf den wachsenden Widerstand im eigenen Lande reagiert Saakaschwili in altbekannter Autokraten-Manier. Die Pressefreiheit wurde abermals beschnitten, Oppositionelle landeten hinter Gittern – rund 8.000 sind es mittlerweile nach Angaben von Menschenrechtsgruppen alleine in Tiflis.

Dr. Dot - die “Rock´n´Roll-Masseuse”

Was für Bill Clinton Monica Lewinsky war, könnte für Saakaschwili eine gewisse „Rock´n´Roll-Masseuse“ werden, die sich Dr. Dot nennt. Saakaschwili war von den „Massagekünsten“ der halbseidenen Pinup-Schönheit derart angetan, dass er sie in seinem Präsidentenjet ins Land holte und dort für eine ganze Woche engagierte – ob es nur ihre eigenwillige Massagetechnik ist, bei der sie den Kunden mit zarten Bissen in den Rücken verwöhnt, die „ihren Lieblingskunden“ (O-Ton Dr. Dot) so begeisterte, ist nicht bekannt. Die Praxis, „halbseidene Masseusen“ mit dem Regierungsjet einfliegen zu lassen, ist allerdings eher eine Spezialität von Potentaten in Bananenrepubliken. Dass das georgische Volk, das gerade eben eine ökonomische Krise durchlebt, die „Dr. Dot-Affäre“ als Tüpfelchen auf dem I empfindet, ist indes verständlich.

Das Volk erhebt sich

Eine Beteiligung der Opposition an der Macht meidet Saakaschwili wie der Teufel das Weihwasser. Für ernsthafte Dialogbemühungen mag es auch bereits zu spät sein - für die Oppositionsparteien sind der Rücktritt Saakaschwilis und neue Präsidentschaftswahlen eine conditio sine qua non. Während Saakaschwili sich durch die Proteste genötigt sieht, einen Dialog über kleinere konstitutionelle Korrekturen zu führen, hat die Dialogbereitschaft der Oppositionsparteien nur eines zum Ziel – Saakaschwili von der Notwendigkeit von Neuwahlen zu überzeugen. Verhandlungen, bei denen die Grundpositionen beider Parteien derart weit auseinanderliegen, sind bereits zum Scheitern verurteilt, bevor sie überhaupt beginnen. Eine Verhandlungslösung ist daher als Ausweg aus der Krise kaum denkbar.

In einem Interview mit Newsweek offenbarte Saakaschwili seine Version der jüngsten Ereignisse – die Demonstranten seien Angehörige von Kriminellen, welche er verhaften ließ, und Opfer der wirtschaftlichen Reformen. Bezahlt seien die Proteste von russischen Oligarchen, militärische Kreise in Russland würden außerdem Anstrengungen unternehmen, im Lande Unruhen zu schüren, um einen neuen Krieg gegen den kleinen Nachbarn zu rechtfertigen. Saakaschwilis Sicht der Dinge ist abstrus und zeugt entweder von totaler Realitätsferne oder vom verzweifelten Versuch, seine PR-Offensive während des letztjährigen Krieges zu kopieren – nur, dass ihm heute niemand mehr zuhört, geschweige denn glaubt.

Saakaschwilis Anschuldigungen, die Proteste seien von russischen Interessen orchestriert, gehen ganz offensichtlich an der Realität vorbei. Die Wortführer der Demonstranten sind vielmehr alte pro-westliche Waffenbrüder Saakaschwilis. In einem gemeinsamen Kommunique nennen die 13 Oppositionsparteien, die gemeinsam die Proteste organisieren, eine Fortsetzung der Politik der Rosenrevolution, mit einer Anbindung an Europa als Ziel. Pro-russische Proteste sehen anders aus. Die Demonstranten sind – im besten Sinne – Demokraten, die in Saakaschwili einen Antidemokraten ausgemacht haben, der den Weg für eine Demokratisierung des Landes freimachen soll.

Gewalt gegen das Volk

Einen schweren Rückschlag mussten die Demonstranten bereits in der ersten Nacht hinnehmen. Randalierer machten sich nächtens über die elektronischen Geräte her, die auf der Tribüne der Demonstranten untergebracht waren. Bei diesem Überfall wurden auch drei Oppositionelle schwer verletzt. Von der „uniformierten“ Polizei war bei diesem Übergriff nichts zu sehen. Das verwundert nicht - nach Aussagen von Menschenrechtsgruppen wurden diese „Randalierer“ von ehemaligen Beamten des Innenministeriums und vom Chef der Streifenpolizei in Tiflis koordiniert. Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras, die diesen Vorfall aufgenommen haben, werden den Oppositionellen und Menschenrechtsgruppen vorenthalten – dies sei „technisch nicht möglich“, so heißt es von offizieller Stelle.

Dieser Vorfall ist allerdings wohl nicht der einzige Gewaltakt, mit dem sich die Regierung Saakaschwili gegen das eigene Volk wenden. Menschenrechtsgruppen sprechen auch von Übergriffen auf Oppositionelle, bei denen die Polizei bestenfalls die Augen verschließt. Tiflis soll abgeriegelt und Fahrern öffentlicher Verkehrsmittel soll es bei Strafe verboten sein, Menschen in die Hauptstadt zu befördern. In einigen Teilen des Landes soll ferner der Strom abgestellt worden sein, um die Bevölkerung außerhalb der Hauptstadt desinformiert zu halten. Ob diese schweren Vorwürfe der Realität entsprechen, ist allerdings bis dato unklar, da es noch keine unabhängigen Bestätigungen dieser Vorfälle gibt.

International isoliert

Die Gefahr einer neuerlichen Südossetien-Kampagne Saakaschwilis, mit der von den Problemen abgelenkt werden soll, ist nach Einschätzungen des amerikanischen Politologen Lincoln Mitchell minimal. Sowohl das georgische Volk als auch der Westen würden sich nicht noch einmal zum Narren halten lassen. Vor allem der Rückhalt in den USA schmilzt von Tag zu Tag mehr. Aber auch andere Staaten üben sich im aktuellen Konflikt vor allem in Zurückhaltung. Eine offizielle Delegation aus Frankreich hat ihren Besuch in Tiflis verschoben, türkische und arabische Unternehmen haben die Unterzeichnung von Verträgen mit Georgien einstweilen auf Eis gelegt – die internationale Gemeinschaft will erst einmal abwarten, in welche Richtung sich die Proteste wenden. „Was ist los mit diesen Menschen? Verzichten wir etwa auf unsere Besuche in Paris und Straßburg wegen der dortigen Proteste?“, so Saakaschwili im Newsweek-Interview.

Die internationale Zurückhaltung zeigt, dass Saakaschwili bei der Bewältigung der inneren Probleme nicht mehr freie Hand hat. Die EU hält sich neutral und bietet sich als Vermittler zwischen Regierung und Opposition an. Die USA gehen sogar noch weiter und mahnen beide Seiten an, einen friedlichen Ablauf der Demonstrationen zu gewährleisten, wobei man sich einen Dialog mit den Oppositionellen wünscht und anbietet, bei der Umsetzung demokratischer Reformen mitzuhelfen. Für Saakaschwili ist dies freilich ein Schlag ins Gesicht. Entsprechend konsterniert äußerte er sich dann auch gegenüber Newsweek:

„Ich habe Amerika unter Bush idealisiert, als Ideen über pragmatischer Politik standen. Nun ist eine neue Zeit gekommen, die Ideen richten sich nach der pragmatischen Politik. Das kann dem Amerika, das ich kenne, schaden.“

Derlei offene Warnungen werden in Washington niemanden beunruhigen. Saakaschwili, der sich zwar guter Beziehungen zu Hillary Clinton, Joseph Biden und Richard Holbrooke rühmt, könnte ein erstes Opfer von Obamas „Pragmatismus“ werden. Anstatt die soziale Schere im Lande zu schließen, investierte er nach dem Wahlsieg Obamas über eine Millionen US$ in neue Lobby-Kontakte in Washington und tauschte sein Beraterteam aus. Allzu lange hatte sich Saakaschwili auf den McCain-Berater Randy Scheunemann als zentralen Anker in seiner Lobbying-Strategie verlassen. In den nächsten Wochen wird nun John McCain, den Saakaschwili seinen „besten Freund“ nennt, nach Georgien kommen. Ob der etwas an der pragmatischen Haltung des Westens ändern kann, ist allerdings zu bezweifeln. Saakaschwili ist ein „totes Pferd“ und niemand im Westen möchte auf dieses Pferd aufsteigen. Wenn es Saakaschwili nicht schafft, den Anschein zu erwecken, die Demonstrationen seien „aus Moskau ferngesteuert“, wird der Westen ihn wohl fallenlassen wie eine heiße Kartoffel.

Ob die friedlichen Demonstrationen Erfolg haben werden, ist allerdings ungewiss. Saakaschwili hat bereits im November 2007 friedliche Demonstrationen mit roher Gewalt erstickt und die Opposition mit diktatorischen Mitteln mundtot gemacht. Damals hatte er allerdings auch noch einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung. Heute würde eine Eskalation der Gewalt wohl einen Bürgerkrieg auslösen. Saakaschwilis politische Karriere ist in ihrem Spätherbst angekommen – wenn der Westen ein Blutvergießen verhindern will, so sollte er auf Saakaschwili einwirken, so dass dieser seinen Hut nimmt und den Weg für Neuwahlen freimacht. Noch könnte es gelingen, dass dieser Weg ein unblutiger sein wird.

Jens Berger


Fingerabdrücke sind out - die Merkwürdigkeiten bei den Einfällen unserer Politiker

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30109/1.html


Hände weg von den Fingerabdrücken!

Joachim Jakobs 14.04.2009

Fingerabdrücke sind bei Politikern 'in' - aber es handelt sich um ein biometrisches Auslaufmodell

Wolfgang Schäuble will mit ihnen [extern] Waffen sichern, ab Jahresende erhalten die Bundesbürger einen [extern] neuen Personalausweis, indem sie auch ihre digitalisierten Fingerspuren hinterlassen können. Und die Ärzte sollen womöglich künftig [extern] elektronische Rezepte mit dem Abdruck ihres Fingers signieren.

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Damit scheint die Politik einer Forderung von Felix Freiling nachzukommen: Der Inhaber des Lehrstuhls für [extern] Praktische Informatik I der Universität Mannheim hat bereits vor einem Jahr [extern] gemahnt, mehr Aufwand in die Identifikation von Berechtigten zu stecken. Ausdrücklich nennt Freiling auch die Biometrie. Und zu der zählen eben auch die Fingerabdrücke. Insofern hätten Schmidt und Schäuble ja auch mal was richtig gemacht, worauf wir an dieser Stelle ausdrücklich gern hinweisen würden.

Würden! Wenn sie hätten! Wenn es da nicht so viele Fußangeln gäbe: In einer [extern] Studie im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik ([extern] BSI) – einer Behörde, die Innenminister Wolfgang Schäuble unterstellt ist! - wies die Hälfte der Testsysteme bis zu zehn Prozent der zu kontrollierenden Personen fälschlich ab. Und: Zehn Jahre nach der Abnahme scheinen viele Fingerabdrücke bereits ihr Haltbarkeitsdatum zu überschreiten. In der Studie heißt es:


Auf Basis der gemachten Untersuchungen kann abgeschätzt werden, dass sich die FRR (die fälschliche Erkennungsrate, Anmerkung Datensalat) etwa verdoppelt, wenn der zeitliche Abstand auf 10 Jahre anwächst.

Im Unterschied zu den Bürohengsten (und -stuten!) in Berliner Ministerien schwingen Ärzte nicht nur Bleistifte, sondern arbeiten praktisch – was mitunter fettige Finger nach sich zieht. Es würde mich brennend interessieren, wie Fingerabdruckscanner auf die Bedienung durch einen Finger reagieren, der kurz zuvor noch eine Salbe aufgetragen hat. Oder: Wie viel Abdruck hinterlässt denn eigentlich ein Finger im Einmalhandschuh? Vermutlich ähnlich wie bei Menschen, die – wegen ihres hohen Alters oder jahrelanger schwerer Arbeit – [extern] keine Fingerabdrücke haben.

Spannend ist auch dieser Aspekt: Die Fingerabdruckscanner werden [extern] zertifiziert und sind vermutlich dementsprechend teuer. Auf den Rechner des Sachbearbeiters werden sie aber unverschlüsselt übertragen. Begründung: Der Sachbearbeiter [extern] müsse die Qualität des Abdrucks prüfen. Der Sicherheitsberater Gunnar Porada ist sich [extern] sicher, dass er falsche Fingerabdrücke in seinen Ausweis bekommen könnte, wenn er dies wollte.

Aber alles das ist seit einem Jahr Makulatur. Genau genommen, [extern] seitdem die Fingerabdrücke des Innenministers auf dem Markt sind. Bereits heute kann jeder Kriminelle so tun, als ob Wolfgang Schäuble eine Straftat verursacht hat. Und jede auch noch so kluge Maschine wird annehmen (müssen), dass es tatsächlich der Innenminister war.

Wer partout ein biometrisches Merkmal im Personalausweis unterbringen will, könnte es vielleicht mal mit der [extern] Handschriften oder der Sprechererkennung probieren. Auch damit würde der Forderung Felix Freilings nach verbesserten Identifikationssystemen entsprochen. Der Sprechererkennung steht – so zumindest die [extern] Meinung des BSI noch eine große Zukunft bevor. Die Erkennung von Fingerabdrücken wird – nach Erkenntnis der sechs Jahre alten [extern] Studie - ihre Bedeutung verlieren.

Ich hätte da eine Bitte: Liebe Politiker, wärt Ihr so nett und achtet darauf, dass Ihr die Abdrücke Eurer Griffel nicht auf Themen hinterlasst, von denen Ihr nix versteht? Das wär' sehr nett!


Wer ist zuständig dafür, Piraten zu fangen, oder so?...

...man könnte meinen, dass das doch vor dem Einsatz des Militärs, vor dem Aufmarsch der Kriegsschiffe, geklärt hätte werden sollen. Leider war das offensichtlich nicht der Fall. Da ein Kompetenzenstreit jetzt wichtiger ist, als alles andere, bleiben die Geiseln da wo sie sind - in der Obhut der Piraten, um es mal vornehm zu umschreiben.

Frau Merkel urlaubt im Ausland, ihre Minister und Wahlkampf-Partei-Freaks kämpfen um irgendein Profil. Das alles ist toller und amusanter als die Piraten-Jagd im fernen Somalia. Geiseln? Für unsere Regierenden inzwischen fast ein Reizwort in Form eines Fremdwortes, dessen Bedeutung man nicht so genau nimmt. Wer ist zuständig? - Keiner, oder alle? Ach, lassen wir das Thema...

Wohin mit den Piraten bei Erfolg ohne Tötung derselben? - Auch ein ewiges Gerangel. Keiner hat vorher nachgedacht, vorher abgeklärt, wie es scheint. Sponatan handeln ist zwar manchmal auch nicht schlecht, wenn es aber dann so ausufert und im Nichts endet, wie in unserem Fall, ist alles nur noch ein schlechter Witz, den niemand mehr so recht nachvollziehen kann.


Auch der Focus hat inzwischen festgestellt, dass wir am Rande der Lächerlichkeit lavieren:

http://www.focus.de/politik/ausland/tid-13944/deutscher-anti-piratenkampf-am-rande-der-laecherlichkeit_aid_389706.html


Deutscher Anti-Piratenkampf

„Am Rande der Lächerlichkeit“

Noch immer befinden sich deutsche Geiseln in der Gewalt von Piraten. Die Bundesregierung scheut eine Befreiungsaktion nach US-Vorbild. Dabei gibt es rechtlich keinerlei Bedenken.
Von FOCUS-Online-Redakteurin Christina Otten

Gefährliche Gewässer: Ein Piratenboot kurz vor der Festnahme durch die Fregatte „Rheinland-Pfalz“
Drei Schüsse, drei tote Piraten und eine befreite Geisel. Die Amerikaner jubeln noch immer über die von US-Präsident Barack Obama persönlich angeordnete Rettungsaktion für den Kapitän der „Maersk Alabama“, Richard Phillips. Die Scharfschützen machten kurzen Prozess mit den Seeräubern. Der gerettete Kapitän wird nun als Held gefeiert, und für kurze Zeit dürfen sich die Amerikaner als Sieger fühlen über den Seeräuber-Terror am Horn von Afrika.

Politische Befindlichkeiten

Anders ergeht es der Besatzung des deutschen Frachters „Hansa Stavanger“. Noch vor der „Maersk Alabama“ gekidnappt, befindet sich die Crew, darunter auch fünf Deutsche, noch immer in den Händen ihrer somalischen Entführer. Die Bundesregierung zögert, militärisch einzugreifen.

Dabei weisen deutsche Juristen und Verfassungsrechtler ausdrücklich darauf hin, dass rechtlich nichts gegen eine gewaltsame Geiselbefreiung spricht. „Es gibt keine Mandatsprobleme“, sagt Stefan Oeter, Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten an der Universität Hamburg FOCUS Online. Das vom Bundestag beschlossene Mandat „Atalanta“ enthalte alle dafür notwendigen Kompetenzen, die nur voll ausgeschöpft werden müssten. So erlaube das vom UN-Sicherheitsrat erteilte Mandat nach Kapitel 7 der UN-Charta ausdrücklich die Gewaltanwendung. „Das bedeutet, dass die Marine mit Waffengewalt auch gekaperte Schiffe befreien und die Hauptschiffe der Piraten gezielt versenken darf.“ Deutschland drohe sich nach Ansichts Oeters nun an den „Rand der Lächerlichkeit“ zu bringen. Da es nicht um rechtliche Bedenken gehen könne, vermutet er „innere, politische Befindlichkeiten“.

Tatsächlich hatte die Bundesregierung nach FOCUS-Informationen eine Befreiung des deutschen Frachters „Hansa Stavanger“ durch die Spezialeinheit GSG 9 erwogen. Ein Kompetenzstreit zwischen Bundeswehr und Bundespolizei verhinderte aber letztlich den Einsatz. Am Abend des 4. April fiel in einer Telefon-Konferenz zwischen Auswärtigem Amt, Innen-, Justiz- und Verteidigungsministerium die Entscheidung, die Geiselnahme mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beenden. Doch dann kam es zum Streit, weil die Marine die Einsatzführung beanspruchte.

Grundsätzlich ist für die Befreiung deutscher Geiseln im Ausland die Bundespolizei zuständig, Teile der Einheit sind darauf trainiert, gekaperte Schiffe auf See zu entern und die Geiseln zu retten. In kriegerischen Situationen kommt indes die Bundeswehr zum Einsatz, die ebenfalls entsprechende Spezialeinheiten bereithält.

Der Göttinger Jurist Werner Heun sieht nun die Politik in der Pflicht, diesen Kompetenzstreit umgehend zu lösen. „Zunächst handelt es sich um einen Militäreinsatz“, sagt Heun, der an der Universität Göttingen lehrt. Die Bundesmarine sei ausgerüstet mit einem robusten Mandat und müsse entsprechend handeln. Für eine Geiselbefreiung sei es daher eigentlich nicht notwendig, eine GSG-9-Einheit der Bundespolizei einzufliegen. Denn werde diese involviert, ergebe sich tatsächlich eine „ganz andere, schwierige Befehlskette“. Der Kompetenz-Wirrwarr könne dann nur die Politik auflösen. „Doch wenn in der Regierung selbst unterschiedliche Auffassungen herrschen, wird es natürlich schwierig.“
Marinesoldaten nehmen der Piraterie verdächtigte Männer fest
FDP-Verteidigungsexperte Rainer Stinner beklagt schon seit Längerem die „Handlungsunwilligkeit der Regierung beim Thema Anti-Piratenkampf“. Es reiche nicht aus, Schiffe zu begleiten, dadurch werde keine Piraterie bekämpft. Ihr „Handwerkszeug“, die Schiffe, müssten ihnen weggenommen und zerstört werden, sagt er im FOCUS-Online-Gespräch. Dem maritimen Nato-Hauptquartier seien die Positionen der Mutterschiffe der Piraten genau bekannt, so Stinner. Es bestehe aber keine Bereitschaft, die Mutterschiffe außer Gefecht zu setzen. „Die Bundesregierung will unter allen Umständen vermeiden, dass die Bundeswehr auch einmal wirklich militärische Mittel einsetzen muss.“ Doch sei dies in diesem Falle völkerrechtlich und durch das vom Bundestag gegebene Mandat völlig legitimiert. Die Möglichkeiten des Mandats müssten nun endlich genutzt werden. „Manchmal reicht auch schon ein gezielter Schuss in die Ruderanlage.“

Auch von den Grünen kommt Kritik. „In der Bundesregierung muss Klarheit herrschen, wer für den Einsatz gegen Piraten zuständig ist“, fordert Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin. Die Befreiung von Geiseln aus den Händen von Kriminellen liege klar in der Verantwortung der Eliteeinheit GSG 9 und der Polizei. „Es wäre erschreckend, wenn eine mögliche Befreiung der Piraten-Geiseln auf der „Hansa Stavanger“ am Kompetenz-Wirrwarr in der Bundesregierung und an unklaren Befehlsstrukturen gescheitert wäre.“

Schicksal der Deutschen ungewiss

Noch immer befindet sich mehr als ein Dutzend Schiffe mit mehr als 220 Menschen in Piratenhand. Wie es im Fall „Hansa Stavanger“ weiter gehen soll, scheint weiter unklar. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es lediglich, der Krisenstab bemühe sich nach wie vor intensiv um eine Lösung des Falles.

Indes fahren die USA längst schwerere Geschütze auf. Sie bauen ihre militärische Präsenz am Horn von Afrika massiv aus. Obama ist offensichtlich nicht bereit, machtlos zuzusehen, wie Handelsschiffe gekidnappt, Mannschaften entführt und Unsummen von Lösegeld gezahlt werden: „Ich will es ganz klar sagen, dass wir entschlossen sind, der Zunahme der Piraterie in dieser Region Einhalt zu gebieten.“

Frau Aigner sagt, sie habe eine fachliche Entscheidung getroffen...,

als sie sich gegen Gen-Mais entschieden hat. Es sei keine politische Entscheidung. Was ist daran falsch, eine Entscheidung auf Grund fachlicher Kenntnisse zu treffen? Ist etwas nur opportun, wenn es politisch ist? - so politisch, wie es gerade in den Kram der Regierenden pass? Es scheint so, und die Menschen werden immer unwichtiger dabei - die Lebewesen allgemein auch.

Frau Aigner hat nach bestem Wissen und Gewissen eine gute Entscheidung getroffen, gegen das Zwangssystem der manipulierten Geschichten aus dem Hause Monsanto. Dass sie nun angegriffen wird, war zu erwarten.

Hier die Artikel dazu:

http://www.stern.de/news/analyse_-ministerin-aigner-verschaerft-ihren-kurs-20934408.html


Analyse: Ministerin Aigner verschärft ihren Kurs

Berlin (dpa) - Ein kleines Gen sorgt für großen Wirbel. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat mit ihrem Genmais-Verbot nicht bloß den Anbau der Sorte MON 810 in Deutschland untersagt, zumindest vorerst.

Sie hat auch den jahrelangen Bedenken von Umweltschützern und der zunehmenden Skepsis in Bayern Rechnung getragen und die Weichen neu gestellt. Eine «Gefahr für die Umwelt» schließt Aigner nicht mehr aus. Der Genmais ist ein Reizthema: nicht nur, aber vor allem in Bayern. Die Bedenken werden größer, dass der Anbau mehr Risiken als Chancen haben könnte für Tiere und Pflanzen - und damit auch für die Bauern. «Meine Entscheidung ist entgegen anderslautenden Behauptungen keine politische Entscheidung», sagt Aigner jedoch. «Es ist eine fachliche Entscheidung.»

Es mag Zufall sein, dass die Proteste gegen Genmais in Bayern lauter werden und dass Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Umweltminister Markus Söder (beide CSU) für ein gentechnikfreies Bayern eintreten. Die Parteifreundin argumentiert mit wissenschaftlichen Studien: «Jetzt gibt es eben neue Kenntnisse.» Über Ostern brütete sie an ihrer Entscheidung, die sie auf Grundlage der Stellungnahmen mehrerer Bundesbehörden, der Öko-Lebensmittelwirtschaft und der luxemburgischen Regierung traf. Sie sieht auch Marienkäfer, Schmetterlinge und Wasserflöhe bedroht, obwohl ein künstlich eingesetztes Gen beim Mais MON 810 nur den Schmetterling Maiszünsler treffen soll, der als Hauptschädling gilt.

Schon Aigners Vorgänger Horst Seehofer hatte die wachsenden Bedenken gegen den Genmais erkannt und 2007 mit einem vorläufigen Verkaufsverbot für Saatgut reagiert. Der Gentechnik-Konzern Monsanto durfte weiter verkaufen, wenn er die möglichen Folgen des Anbaus auf die Umwelt dokumentiert. Der Bericht liegt nun vor, Monsanto sieht keinen Grund für Bedenken. «Es gibt keine wissenschaftlich tragbaren Hinweise, die zu einem anderen Schluss führen würden als in der Sicherheitsbewertung des Produktes im Rahmen der Zulassung», sagt Monsanto-Sprecher Andreas Thierfelder. Das Unternehmen prüft nun rechtliche Schritte.

Aigner betont, dass es sich nicht um eine Grundsatzentscheidung handelt. «Gerade die Sicherheitsforschung in der "grünen Gentechnik" wird gebraucht.» Wohl wissend, dass ein Genmais-Verbot in der Bundesregierung nicht unumstritten ist. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte im März für Unmut gesorgt, als er bei einem EU- Ministertreffen dafür stimmte, dass Österreich und Ungarn weiter den Genmais-Anbau verbieten dürfen. Das Kanzleramt verwies auf die Regel, dass bei unterschiedlichen Ansichten Enthaltung gelten sollte. Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) warnt davor, dass eine Zukunftstechnologie nun Schaden nehmen könnte.

An der Entscheidung von Aigner waren bestimmte Marienkäfer nicht ganz unbeteiligt. In einer Studie von 2009, die auch in Luxemburg für das Genmais-Verbot herangezogen wurde, heißt es, dass die Sterblichkeitsrate von Zweipunkt-Marienkäfern im Larvenstadium im Zusammenhang mit dem genveränderten Mais zunahm. Die Bedenken - nicht nur was Marienkäfer angeht - sollen nun geprüft werden. Europaweit ist der genveränderte Mais ebenfalls ein großer Zankapfel. Bald steht nicht nur die Neuzulassung von MON 810, sondern auch anderer Sorten an. Da lässt sich Aigner ein Türchen offen: Innerhalb der Bundesregierung sei hierzu noch keine Entscheidung gefallen.

Bei all dem sollte erwähnt werden, dass Genmais in diesem Jahr auf nur 0,2 Prozent der Mais-Anbaufläche in Deutschland stehen sollte. Monsanto will erreichen, dass die Aussaat in einigen Tagen doch noch möglich ist. Die Bauern, die auf Genmais gesetzt haben, sind jedenfalls sauer. Landwirt Reinhard Dennerlein aus Obernbreit in Unterfranken hat die bayernweit größte Genmais-Fläche beantragt. «Jetzt muss ich halt normalen Mais anbauen», sagt er.


http://www.focus.de/politik/schlagzeilen?day=20090414&did=1041840


Monsanto erwägt rechtliche Schritte
Berlin (dpa) - Das Agrar-Unternehmen Monsanto will rechtliche Schritte gegen das in Deutschland verhängte Verbot von Genmais prüfen. Das sagte Monsanto-Deutschland-Sprecher Andreas Thierfelder dem Audiodienst der dpa. Zunächst werde der Bescheid des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit abgewartet. Das Ziel sei, noch in diesem Jahr den Landwirten den Anbau zu ermöglichen, die MON 810-Saatgut gekauft hätten. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hatte angekündigt, den Anbau von Genmais zu verbieten.

Dienstag, 7. April 2009

Ja, auch ich...

...habe Israel kritisiert, und nichts Gutes daran gefunden, dass eingemauerte Menschen unter Besatzung bombardiert, beschossen, mit allerlei grausamen Waffen traktiert werden. Ja, ich habe die Verhältnismäßigkeit angegriffen, und abgewogen, obwohl abwägen in solchen Situationen wie sie zwischen Israel und Palästina nun mal gegeben sind, äußerste Schwierigkeit bedeuten.

Ich habe mich bemüht, die Politik zu kritisieren, die Lügen, die Machenschaften und Machtspielchen, und eben nicht ein ganzes Volk - nicht einzelne Menschen. Ich habe Schreiberlinge erlebt, die alte Verschwörungsideen aufkochen - damit bin ich vorsichtig, egal ob es Theorien über die Juden sind, oder über andere in anderen Zusammenhängen. Doch auch in der verrücktesten und abgedrehtesten Fantasterei steckt oft ein kleines Korn Wahrheit - allerdings meistens nicht so, wie der 'Theoretiker und Fantast - der "Verrückte" sich das zurecht gelegt hat.

Da geht also ein Herr Leon de Winter her, und schreibt sich seinen jüdischen Ärger über die Kritiker an Israel herunter, in weiten Strecken schlicht pauschalisierend. Würde er nicht pauschalisieren, könnte er seine Vorwürfe ja nicht auf ganz Europa anwenden. Herr de Winter ist auch auf jenem Auge blind, das genauso das Fehlverhalten, die Lügen und Machenschaften der israelischen Politik erkennen sollte, wie jene der anderen.

Von Krieg und Gewalt, Metzeleien und Grausamkeiten kann sich niemand so einfach reinwaschen, auch dann nicht, wenn er es mit den Taten der Gegenseite aufrechnen will. Es funktioniert nicht, Mord ist Mord, Meucheleien und Abschlachtungen sind eben genau das, was sie sind, und nichts anderes. Da kann noch so viel Tqarnfarbe als Make up darüber gestrichen werden, das nützt nichts.

Genau das ist ja das Kreuz der Deutschen. Den Holocaust, den Hitlerismus, den Faschismus, das alles kann nicht übermalt werden, auch heute noch nicht. Inzwischen wollen das auch nur noch jene, die eben in diese Politrichtung einzuordnen sind. Die anderen bemühen sich teilweise redlich darum, nicht in die alten Fettnäpfe zu treten - und viele sind ehrlich damit befasst, der Geschichte die nun mal auf uns lastet, in positivem Sinne gerecht zu werden.

Wer aber so mit der heutigen Situation Israels umgeht, wie Herr de Winter, der kann es auch nicht sonderlich gut meinen - denn er verfestigt mit seinen Äußerungen eben das, was er zu bekämpfen vorgibt: Den Hass, den Krieg, die Gewalt. Er bezeichnet die Hamas, als Regierung in Palästina, als faschistisch, mit dem einzigen Willen, Israel zu vernichten. Seltsam, dass er übersieht, was inzwischen in Israel für eine Politik gemacht wird, wer dort regiert.

Die anderen Konflikte, die er erwähnt, und die wir nicht kritisieren wie er meint, sind für uns leider oft wenig durchschaubar, und sehr weit weg. Trotzdem entspringt Kritik - zum Beispiel an Israels Vorgehen, dem Friedenswillen. Ich gehe von mir aus, und ich kritisiere jeden Krieg, jede Unterdrückung im Namen irgendwelchen Terrors, egal in und von welchem Land auch immer so etwas ausgeht,- egal, wie es beantwortet wird, es ist immer die falsche Methode, und macht Menschen nur noch mehr fertig, als sie es sowieso schon sind.

Hass und Krieg, Mord im Namen einer feindlichen Politik, - nichts von alledem macht die Menschen auch nur um eine Spur besser. Es ist dabei eigentlich völlig egal, auf welche Seite sich Kritiker oder Befürworter schlagen. Es ist auch unwichtig, wer Freund oder Feind ist, das ist höchstens fürs direkte Überleben der Betroffenen massgeblich.

Einem Menschen, der ausserhalb des Ganzen lebt, den Wahn um die Terrorgefahr und die Verteufelungen aber mit ausbaden muss, weil im eigenen Land die Politiker sich gegen das eigenen Volk richten, das ja angeblich so gefährlich ist, ist es egal, wer wo steht, wenn er grundsätzlich für den Frieden und gegen Gewalt ist. Es ist einfach widerlich, was heuten noch alles abgeht an Hasspolitik, an Feindseligkeiten, die längst überwunden sein sollten, wenn wir alle wirklich so zivilisiert sind, wie wir das alle gerne vorgeben.

Ja, wir Deutschen - vielleicht auch viele Europäer - sind gefährlich, in userer Feigheit, in unserer Duckmäuser-Haltung, in der wir verharren, alles aussitzen, erdulden und still sind, auch dann, wenn welche dazu übergehen Gewalt zu verbreiten, und auf eine Weise anzugreifen und zu beschuldigen, die nicht angemessen ist. Aber, die Politik lebt es ihnen doch vor: Sie ist auch wenig angemessen, unterdrückerisch, mit falschem Zungenschlag wo es nur geht, mit Aufrüstung, ohne sich an Regeln haltend andere mit Mord und Krieg überziehend, und auch beim Vorgehen gegen die eigenen Bürger nicht zimperlich. Was Wunder, dass der Extremismus wieder aus den Ritzen kriechen kann?

Es fehlt an Vorbildern, wird so oft geklagt heute. Ja, denn die welche wir haben, taugen nur schlcht als solche. Feigheit befreit nichts, sich ducken bewirkt nichts, schweigen bewegt nichts - und das, was sich bewegt, ist nichts, das den Frieden bringt. Jeder, der so heftig anschuldigt, beweihräuchert seine eigene Selbstgerechtigkeit, da nehme ich uns nicht immer davon aus.

Wieviel besser wäre es, wenn alle Menschen miteinander auf dieser Welt in Frieden leben könnten. Leider schaffen wir das nicht einmal beim eigenen Nachbarn...
Warum sollte Israels Politik besser sein, als die anderer Länder? Weil es Juden sind, die dort leben? Weil sie es besser machen sollten, nach allem was war? --- Sie sind Menschen, wie wir auch, machen Fehler aus der Sicht anderer, sind genauso merkwürdige Politiker, wie jene bei uns auch, und woanders.

Genauso wie unsere Politiker kritisiert werden, auch von uns, genauso wie ein herr Karsai in Afghanistan kritisiert wird, für deren Politik - genauso habe ich Israel kritisiert. Nicht mehr, und nicht weniger. Viele andere Menschen haben das auch so gehalten, und nicht irgendwelchen Theorien oder Hasstiraden Raum gegeben. Die, welche das doch tun, sind eine andere Wellenlänge - und, dass es diese noch gibt, leider auch in der Politik, und immer wieder, ist ein Elend, das neues Elend gebären will.

An der Wirtschaftskrise sind verfehlte weltweite Politiken, genauso wie durchgeknallte Banker, und die Gier jener, die nie genug bekommen können, schuld - die Nationalitäten oder Abstammungen einzelner Beteiligter interressiert mich dabei wenig. Von Rassenwahn und Nastionalitäten-Zuschreibungen halte ich nicht viel.

Die angemessene Frage eines Menschen wäre doch: Wie kann ich dazu beitragen, dass das Leben auf dieser Erde ein wenig schöner, angenehmer ist,- und zwar für alle, denen ich begegne, mit denen ich zu tun habe, und letztendlich für alle mit denen ich leben muss? - Und, das sind eine Menge auf dieser Welt - somit hätte jeder genug zu tun.

Aber, diese Frage wird nicht gestellt, denn jeder wird auf sich selber zurückgeworfen in heutigen Zeiten. So viel an guten Impulsen wird abgeschmettert, so viel an potentiellem Mitgefühl - an Liebe auch für die anderen - wird in die Menschen zurückgestopft, bis sie daran fast ersticken. Und, wer sich doch etwas traut, wird nach Strich und Faden fertig gemacht.

Das sind die Vorbilder, und genauso ist unsere Welt auch beschaffen. Davon nehme ich fast keinen aus, in unseren westlichen Gefilden. Doch genauso, wie ich das kritisiere, sehe ich auch die Entwicklung in Israel, mit Grauen und schweren Bedenken - die sich inzwischen zu bewahrheiten scheinen. Es wird keinen Frieden geben... Schade, oder?

Und hier nun der Artikel des besagten Herrn Leon de Winter:

http://www.zeit.de/2009/15/Oped-Gaza


Meinung

Besessen vom Leid

Europa hätschelt die Palästinenser und dämonisiert Israel, um sich von seiner Schuld am Holocaust zu befreien

An der Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo und dem Sudan sind in den vergangenen Wochen mindestens ebenso viele Menschen der Gewalt zum Opfer gefallen wie bei den jüngsten israelischen Operationen in Gaza – und doch beschäftigt der Terror in Afrika die europäischen Medien höchstens am Rande. Offenbar haben die Palästinenser etwas, das den Kongolesen und Sudanesen fehlt. Etwas, das ihnen die geballte Aufmerksamkeit der europäischen Medien beschert.

Anders auch als die Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Palästinenser sich ihren Status als Dauerflüchtlinge erhalten. Bis heute, sechzig Jahre später, werden Palästinenserstädte als Flüchtlingslager bezeichnet; inzwischen tragen vier Generationen von Palästinensern von Geburt an das Etikett »Flüchtling«.

Die Palästinenser in Gaza haben eine religiös-faschistische Partei gewählt, deren erklärtes Ziel die Vernichtung der Juden ist. Voller Enthusiasmus versprach Hamas Krieg und Märtyrertum mit Slogans wie »Palästinenser lieben den Tod mehr als das Leben« oder »Kein Opfer ist zu groß, um Israel zu vernichten«.

Nun gab Israel den Bewohnern von Gaza das, was diese sich angeblich mehr als alles andere wünschen: eine Gelegenheit, heldenhaft Widerstand zu leisten und Juden zu töten. Doch statt ihre tiefe Befriedigung über diese Chance zu äußern, schrien die Palästinenser auf, sie würden mit unverhältnismäßiger Härte behandelt, und den Juden müsse das Schießen auf Frauen und Kinder verboten werden. Dieselben Leute, die Gewalt und Krieg forderten, zeigten den Medien, wie brutal sie von den Juden angefasst wurden.

Als der Palästinenser Sami Kuntar, der 1979 einem vierjährigen Mädchen mit dem Gewehrkolben den Schädel eingeschlagen hatte, im vergangenen Juli von Israel freigelassen wurde, gratulierte Hamasführer Ismail Haniya Kuntar zum »großen Sieg im Widerstand; der Beweis, dass unser Weg richtig ist«.

Jahrelang hat Hamas Raketen auf Israel abgefeuert, doch die europäischen Medien zuckten nur mit den Schultern. In einem blutigen Bürgerkrieg vertrieb Hamas die sogenannte gemäßigte Fatah aus Gaza; die Medien reagierten gelangweilt. Jeden Tag prophezeien die Hamasführer Israel einen qualvollen Untergang; Europa gähnt. Und wenn die Provokation für Israel unerträglich wird und es gegen Hamas zurückschlägt, mit einem Bruchteil der Gewalt, die diese Organisation gegen Israel einsetzen würde, wenn sie nur könnte, dann treffen die Reporter sich auf dem Flughafen Tel Aviv, um vom grausamen Tod von Frauen und Kindern zu berichten.

Was an den Palästinensern fasziniert die Europäer dermaßen, dass viel schrecklichere Konflikte, Putins Zerstörung von Tschetschenien etwa, daneben völlig verblassen?

Die Antwort: Der Feind der Palästinenser ist zugleich Europas Obsession, nämlich der Jude. National und ethnisch zersplittert, wie Europa war und ist, galt dem Europäer der Jude, wie der umherziehende Zigeuner, als undurchschaubar und gefährlich. Judenhasser fürchteten sich vor dem Juden, denn der war clever und passte sich leicht an, war dem hebräischen Stamm jedoch loyal verbunden. Alles Übel auf der Erde ließ sich aus den Machenschaften des Juden ableiten – Antisemitismus ist die ultimative Verschwörungstheorie. Von Europa aus hat der Judenhass sich auf der ganzen Welt ausgebreitet. In einer Zeit der Globalisierung, mitten im Wirtschaftschaos, muss der intrigante Jude sogar in Ländern ohne Juden als Erklärung des Bösen und Bedrohlichen herhalten.

Die Ausrottung der europäischen Juden war die Konsequenz eines Prozesses, der 1000 Jahre zuvor begonnen hatte. Und bis heute hat Europa die Konsequenzen des Holocaust nicht verarbeitet. Im Gegenteil, seit Jahrzehnten fühlt der Kontinent sich von den Juden erpresst. Europas Sympathie für die Palästinenser hat wenig mit deren elenden Lebensbedingungen zu tun. Europa liebt die Palästinenser, weil es sich auf diese Weise von seiner Schuld am Massenmord frei machen kann.

In den sechziger Jahren hatte Jassir Arafat, ein korrupter Warlord alter Schule, die Idee, die Sache der Palästinenser in antiimperialistische Rhetorik neu zu verpacken und Palästina so auf die Tagesordnung der europäischen Intelligenzija zu setzen. Als christliche Milizen 1982 unter den Augen der israelischen Armee in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila Massaker verübten, wurde zum ersten Mal Kritik an den Juden laut, seit 1945 ein Tabu in der europäischen Öffentlichkeit. Die erste Intifada mit ihren Bildern von steinewerfenden Palästinensern und schwer bewaffneten jüdischen Soldaten beherrschte die Weltpresse und machte den Weg zur Verleumdung Israels frei. Schritt für Schritt wurde daraus ein Angriff auf jüdische Arroganz und, noch wichtiger, ein Angriff auf den israelischen und jüdischen Missbrauch der Erinnerung an den Holocaust.

Verantwortungsbewusste europäische Politiker – und von ihnen gibt es zum Glück viele – sind sich der Gefahren des islamischen religiösen Faschismus bewusst, und trotz des von Teilen der Medien ausgehenden massiven Drucks bemühen sie sich um eine ausgewogene Perspektive. Kein anderer Konflikt jedoch, möge er auch Hunderttausende Opfer fordern, heizt europäische Emotionen derart an wie der israelisch-palästinensische. Europa ist besessen davon.

Die europäischen Medien betrachten Israels Abwehrhandlungen wie unter einem selektiven Vergrößerungsglas; dieses Verfahren ermöglicht es ihnen, die Erben der Opfer, die Europas obszönstem Hass – dem Antisemitismus – zum Opfer fielen, als Bösewichte darzustellen und Europa endlich von seinen toten Juden zu befreien.

Wer auch nur einen Hauch von Gewissen und Geschichtskenntnissen hat, weiß eins genau: Selbst wenn Tausende Unbeteiligter in Gaza gestorben wären, könnte man das nicht mit dem Massenmord an den Juden in Nazideutschland gleichsetzen, und trotzdem werfen linke und muslimische Protestierer und Kommentatoren ununterbrochen mit Begriffen wie »Holocaust« und »Nazi« um sich, wenn sie Israels Antwort auf den Terrorismus von Hamas beschreiben. So verharmlosen sie den Nationalsozialismus und unterstellen indirekt, die Juden mit ihrer Hinterhältigkeit treffe im Grunde eine Mitschuld an ihrem Leiden unter der Naziherrschaft.

Sicher wäre es falsch, alle Europäer des unsinnigen Judenhasses zu bezichtigen, doch gibt es in Europa ein starkes altes Ressentiment. Laut einer neuen Umfrage der Anti-Defamation League (ADL) in sieben europäischen Ländern glauben 31 Prozent der Erwachsenen, die Juden in der Finanzindustrie seien für die Wirtschaftskrise verantwortlich. Aus der Erhebung geht auch hervor, dass Kritik an Israel und die Einstellung zu den Juden zu Synonymen geworden sind: 58 Prozent der Befragten erklärten, sie würden die Juden wegen der israelischen Politik jetzt stärker ablehnen. Die ADL fragte diese Europäer nicht, ob sie auch die russisch-orthodoxe Kirche ablehnen, weil die russische Armee Grosnyj zerstört hat.

Europa dämonisiert Israels sechs Millionen Juden, obwohl sie sich nur gegen einen von blindem religiösen Hass angetriebenen Feind wehren. Darin drückt sich sein brennender Wunsch aus, endlich die sechs Millionen Toten loszuwerden. Europa wird den Juden die Bürde von Auschwitz nicht verzeihen. Deshalb sind die Hunderte Toten von Gaza für Europa so viel bedeutsamer als die Millionen Toten von Darfur und im Kongo. Wie andere Menschen auch haben die Juden nicht viel aus der Geschichte gelernt, aber eins wissen sie genau: Sie wiederholt sich.

Leon de Winter lebt als Schriftsteller in Amsterdam und Los Angeles. Seine Eltern entkamen dem Holocaust

Aus dem Englischen von Elisabeth Thielicke